Im Juli 2025 stehe ich beim legendären 24-Stunden-Inline-Rennen von Le Mans am Start. Es ist dieselbe Strecke, auf der sonst die berühmten Motorsportrennen stattfinden.
Mit mir sind tausende Teilnehmer aus aller Welt am Start, die meisten in Teams von 10-12 Leuten. Ich starte als Solofahrer.
Eine angekündigte Hitzewelle mit bis zu 35 Grad liefert optimale Bedingungen, um eigene Grenzen zu verschieben.
Der Kurs führt den legendären Circuit Bugatti – inklusive des berühmten Dunlop-Hills mit dem ikonischen Dunlop-Bogen am Gipfel. Die Runde ist 4.185m lang und besitzt in Motosportkreisen Kultstatus.
Die teilnehmenden Teams befahren die Strecke für 24 Stunden als Staffellauf. Nach Ablauf der Zeit wird die letzte Runde zu Ende gefahren. Das Team mit den meisten gefahrenen Runden gewinnt.
In der Solo-Wertung gibt es keine Ablösung. Ernährung, Material, mentale Stabilität und Rennstrategie müssen über 24 Stunden vollständig selbst organisiert werden. Helfer in der Boxengasse sind allerdings erlaubt.
Der Einstieg in die Vorbereitung verlief zunächst schleppend - vor allem, weil es nirgends Rennskates in meiner Schuhgröße (50) gab. Nach Wochen erfolgloser Suche entschied ich mich, das Projekt nicht weiter aufzuschieben und stattdessen konsequent mit normalen Fitness-Skates zu trainieren.
Von da an wurde die Vorbereitung bewusst breit und experimentell angelegt: Fahrten bei Regen, um Rollverhalten und Stabilität auf nasser Strecke zu testen; intensives Üben von Kurvenlinien; Windschattenfahrten in kleinen Gruppen; sowie lange Ausdauereinheiten bis zu 12 Stunden, um meinen Körper an echte Langzeitbelastung heranzuführen.
Was in meiner Heimatregion um Bremen herum fehlte, waren Höhenmeter – die Landschaft ist schlicht zu flach, um realistisch Bergauf- oder Bergabfahrten trainieren zu können. Die Vorbereitung bestand also vor allem darin, alles auszuschöpfen, was hier möglich war.
Gelegentlich veröffentlichte ich kurze Trainingsvideos in den sozialen Medien – sie dienten als Einblick in einen Prozess, der vor allem eines war: ausprobieren, anpassen, weiterfahren.

Mit dem Startschuss fällt jede Theorie von mir ab – und schon in der allerersten Runde zeigt mir die Strecke unmissverständlich, was auf mich zukommt. Der Dunlop-Hill, den ich aus den Fernsehbildern kannte, entpuppt sich als völlig anderes Kaliber. In den Videos wirkte er wie eine kleine Welle im Asphalt. In Wirklichkeit zieht er mir bereits in der ersten Runde so viel Kraft aus dem Körper, dass mir sofort klar wird: Das hier wird ein 24-Stunden-Intervalllauf.
Der Berg ist länger, steiler und gnadenloser, als ich es mir vorgestellt habe. Und zugleich entwickelt sich oben, fast ironisch, ein Moment des Glücks: die Dunlop-Brücke. Jedes Mal, wenn ich sie erreiche, fühlt es sich an wie ein kleiner Gipfel. Ein Versprechen. Ein kurzer Hauch von Erfolg.
Nach der Brücke kann ich endlich etwas rollen lassen, den Puls senken, die Muskeln sortieren – wenige Minuten Pause, bevor die nächste Runde wieder von vorne beginnt.
Bald schon werden erklingen in allen Sprachen die Durchsagen: „Bitte mehr trinken! Bitte sucht den Schatten! Achtet auf eure Teammitglieder!“
Die Hitze ist erbarmungslos. Über 30 Grad, kaum Wind, der Asphalt strahlt wie ein Ofen. Die Strecke wird zum Testlabor für Hitzebelastung – und viele bestehen diesen Test nicht.
Regelmäßig sehe ich Fahrer, die auf der Strecke abrupt ausrollen und sich an den Rand setzen. Manche liegen im winzigen Schatten der Begrenzungen, andere werden in der Boxengasse ärztlich versorgt. Eisbeutel, feuchte Tücher, Rettungswagen. Das Rennen ist noch jung, aber es fordert schon Tribut.
Für mich bedeutet das: trinken, trinken, trinken – und gleichzeitig die Balance finden zwischen Tempo halten und nicht überhitzen. Nach jeder einzelnen Runde fahre ich in die Boxengasse und lasse mich von meinem Team versorgen. Wasser, Sonnencreme, Beine einreiben mit Franzbranntwein. Alles um nicht zu überhitzen.
Und während über dem Kurs ein flimmernder Hitzeschleier hängt, wird mir immer klarer: Die nächsten Stunden werden entscheidend sein. Nicht für die vorgenommenen 400 km, nicht für die angestrebte Top-Ten-Platzierung. Sondern für das Durchhalten. Mittlerweile geht es nur noch darum irgendwie dieses Rennen durchzustehen.


Als die Sonne langsam tiefer steht, erwischt die Hitze schließlich auch mich. Erst sind es kleine Signale, dann wird es eindeutig: Muskelkrämpfe, stechende Schmerzen überall, ein Schwächegefühl, das sich wie Watte durch den Körper frisst, dazu Übelkeit und plötzlich eine Taubheit auf einem Ohr.
Mein Körper sendet mir die rote Warnlampe – nicht subtil, sondern unmissverständlich.
Gemeinsam mit meinem Team treffe ich die Entscheidung, die ich eigentlich vermeiden wollte: Pause. Keine Diskussion mehr. Der Körper braucht sie jetzt dringender als jede weitere Runde. Ich lege mich hin, schließe die Augen und versuche, die Anspannung aus dem System zu bekommen. Eine Stunde Ausruhen und Meditieren – das ist der Plan. Danach sehen wir weiter.
Und tatsächlich: Innerhalb dieser Stunde kehrt das Leben zurück. Die Übelkeit beruhigt sich, die Muskeln entspannen, der Kreislauf stabilisiert sich. Aus purer Hitze-Überforderung wird langsam wieder ein klarer Kopf.
Als ich wieder auf die Strecke gehe, fühlt sich mein Körper an wie neu gestartet. Die Pause hat genau das bewirkt, was ich brauchte – und die Temperatur ist auf etwa 26 Grad gefallen. Endlich atmet die Strecke wieder. Ich rolle an, teste die Beine, spüre in meinen Kreislauf hinein. Alles stabil. Alles bereit.
Ich beginne zu fahren. Erst vorsichtig, dann immer entschlossener. Und nach wenigen Runden merke ich: Das hier wird meine stärkste Phase. Darüberhinaus habe ich nach und nach das Gefühl, den Rundkurs besser zu verstehen: ich merke, welche Kurve wie am besten angefahren werden soll. Und ich werde uch mutiger bei den rasanten Downhill-Kurven. Es läuft mittlerweile also.
Durch die Pause war ich auf Platz 58 der 90 Starter zurückgefallen. Aber jetzt, in dieser kühleren, ruhigeren Nacht, beginnt etwas, das sich fast wie ein Gegenlauf anfühlt. Stunde für Stunde hole ich Plätze auf. Der Körper arbeitet wieder flüssig, der Kopf ist klar, die Strecke gehört wieder mir. Nicht andersherum.
Morgens um 06:00 Uhr liege ich auf Platz 28.


Während ich Runde um Runde durch die Dunkelheit ziehe, weiß ich, dass mir bald ein besonderer Moment bevorsteht: der Sonnenaufgang über dem Dunlop-Hill. Jeder, der hier schon gefahren ist, schwärmt davon. Er ist so etwas wie das heimliche Herz des gesamten Rennens.
Und irgendwann – nach endlos vielen Runden, nach diesem gleichmäßigen Rauschen der Rollen, dem Lichtkegel vor mir, der Ruhe der Nacht – ist es soweit.
Ich komme die Steigung hoch, blicke nach vorne und sehe, wie die Sonne exakt hinter der Dunlop-Brücke aufgeht. Ein goldener Lichtbogen, der die Brücke umrundet und die Strecke in eine Wärme taucht, die nichts mehr mit der Hitze des Tages zu tun hat.
Die Kamera, die ich dabei habe, kann es nicht annähernd einfangen. Kein Bild schafft, was dieses Gefühl in der Realität auslöst.
Für mich beginnt mit dem Sonnenaufgang die vorletzte große Phase des Rennens. Noch elf Stunden. Die Hitze kehrt zurück, drückt wieder auf den Asphalt, fordert erneut alles ab. Aber in mir hat sich seit der Nacht etwas verändert. Ich kann nicht genau sagen, was – nur, dass es da ist: eine Ruhe, eine Gewissheit, eine Klarheit, die vorher nicht da war. Die erfolgreiche Nachtfahrt und der Moment unter der Dunlop-Brücke haben etwas verschoben.
Jetzt greife ich bewusst auf mein mentales System zurück:
Ich habe fünf Kletts vorbereitet – fünf kleine Marker, jeder einem eigenen Zielgedanken zugeordnet. Für jede Phase des Rennens gibt es einen davon, nun ist es "KEEPPUSHING".
Ein kurzer Fingertipp auf das Klett, und der Zielgedanke dahinter springt an: Eine Art gedanklicher Kompass. Mein persönliches Navigationssystem für 24 Stunden.
So halte ich meinen Fokus, Runde für Runde, Phase für Phase.
Natürlich bleibt es körperlich hart. Der Dunlop-Hill ist gnadenlos wie am ersten Tag, vielleicht sogar noch härter. Die Hitze steht über der Strecke, die Beine brennen, und jede Runde zieht Energie. Aber innerlich ist es jetzt still. Kein Widerstand mehr. Kein Zweifel. Nur Arbeit. Nur Fokus.
Ich weiß: Ich komme durch.

Die letzten zwei Stunden des Rennens tragen einen eigenen Namen: DIE EMPTY!
Alles muss raus. Keine Reserven, kein Sicherheitsmodus, kein Zurückhalten.
Ich weiß, dass dies der Moment ist, in dem ich meinen Körper komplett aufreißen muss – der Moment, für den die ganze Vorbereitung, das mentale System und jede einzelne Runde davor gemacht wurden.
Ich schalte auf Angriff.
Der Körper schreit, aber der Kopf ist still. Es gibt nur noch Arbeit. Nur noch Vorwärts. Ich schiebe, ziehe, drücke jede Runde, jede Kurve, jeden Meter. Ich reiße mir am Ende komplett den Arsch auf.
Mit diesem letzten Schub mache ich noch ein paar Plätze gut.
Als die Uhr endlich die 24 Stunden voll macht und ich aus der letzten Runde komme, stehe ich auf Platz 25. Von den 90 Solo-Startern haben etwas über zwanzig unterwegs aufgeben müssen.
Ich bin unfassbar stolz auf meine Leistung. Meine ersten Worte nach dem Rennen siehst Du im Youtube-Video. :-)
Nach 24 Stunden auf Rollen bleibt natürlich zuerst der Stolz – aber nicht nur der. Dieses Rennen hat mir gezeigt, wie viel mehr dahintersteckt als reine Leistung.
Ich habe bis ins letzte Detail verstanden, welchen Rückhalt die Boxengasse dem Fahrer wirklich gibt. Ohne Dominik und André, die mich durchgehend versorgt, beobachtet und geschützt haben, wäre dieses Ergebnis unmöglich gewesen. Ein gutes Boxenteam ist nicht Unterstützung – es ist ein Fundament.
Ich habe gelernt, dass man nach schweren körperlichen Einbrüchen weitermachen kann. Dass du vom Rand eines Hitzeschlags wieder in den Flow finden kannst. Dass ein Rennen nicht linear verläuft, sondern in Phasen, Aufs und Abs, wellenförmig – und dass mentale Klarheit diese Wellen surfbar macht.
Und ich nehme etwas mit, das über Le Mans hinausgeht:
Im Ausdauersport zählt nicht nur Kraft, sondern Haltung.
Durchziehen, wenn der Körper wankt. Vertrauen, wenn die Zahlen abstürzen. Sei ruhig, wenn alles laut wird. Und sei laut, wenn alles leise wird.
Was bleibt, ist Dankbarkeit. Für mein Team. Für die Erfahrung. Für die Härte.

Vielen Dank an Medien- und Pressevertreter für das Interesse an "Tilo vs. Le Mans". Hier eine Auswahl der Veröffentlichungen:
TV:
ARD: Mittagsmagazin (Link)
Radio Bremen: Buten un Binnen (Link)
ARD: Sportschau (Link)
Sat1: 17:30 Regional (Link)
Print:
Weser Kurier v. 10.07.25 (Link)
Weser Kurier v. 14.07.25 (Link)
Stuhrer Kreiszeitung v. 10.07.25 (Link)
eigener Bericht auf LinkedIn: Link
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